Dominanz beim Hund – Muss ich ein Rudelführer sein?

Veröffentlicht von Petra Frey am


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Dominanz, Alphatier und Rangordnung zwischen Hund und Mensch

Wohl einer der Mythen in der Hundeerziehung, der sich am hartnäckigsten hält und auch von manchen (teils populären) Hundetrainern nach wie vor als einfaches Pauschalerklärungsmodell für alle möglichen Probleme bemüht wird:

Hunde würden mit uns Menschen eine Rangordnung entwickeln, in der der Mensch der Ranghöchste sein müsse.

Nahezu immer wird dazu der Vergleich mit einem Wolfsrudel gezogen.

Wie kam es zu dieser Theorie? Wie definiert sich ein Wolfsrudel? Gibt es so etwas wie Alpha-Wölfe? Versuchen Hunde einen Platz ganz oben in der Rangordnung zu ergattern und sich als Rudelführer zu etablieren?

Rangordnung bei Wölfen: Studien in der 1960ern

Der Verhaltensforscher David Mech studierte Wölfe in den 1960ern und publizierte dazu 1970 sein Buch „The Wolf“. Darin schildert er seine Beobachtungen, dass Wölfe in einem Rudel um ihren Rang kämpfen und sich bestimmte Wölfe als Rudelführer durchsetzten (als „Alpha-Wolf“ oder „Leitwolf“ betitelt). Das Buch war ein Bestseller legte den Grundstein für den Mythos um die Dominanztheorie bei Wölfen, welche sogleich unkritisch auch auf den Hund übertragen wurde.

Die Theorie hatte jedoch einen großen Fehler, der übrigens vom Autor David Mech im Verlauf seiner weiteren Forschungen selbst erkannt wurde und ihn dazu veranlasste, seine Theorie vom dominanten Wolf zu wiederrufen: Seine Forschung basierte nämlich zu jener Zeit auf Wölfen in Gefangenschaft. Dabei wurden willkürlich Wölfe zusammengesperrt und ihr Verhalten beobachtet.

Später erkannte Mech, dass diese Konstellation nichts mit dem Zusammenleben von Wölfen in freier Wildbahn zu tun hat. Die Wölfe hatten keine Möglichkeit sich großartig zu bewegen, geschweige denn die Gruppe zu verlassen, lebten auf engem Raum unter Stress zusammen. Eine erhöhte Aggressionsbereitschaft und Verhaltensstörungen waren die Folge.

Ein Wolfsrudel in freier Natur ist normalerweise nichts anderes als eine Wolfsfamilie, also zwei Elterntiere mit ihrem Nachwuchs. Rangkämpfe oder Dominanzbestrebungen gibt es hier nicht.

Die Theorie vom dominanten Wolf, der die anderen Wölfe unterwirft, ist lange wiederlegt. Das Modell vom „Alpha“-Wolf und die Übertragung auf den „dominanten Hund“ hatte sich jedoch bereits bei vielen festgesetzt und so existierte der Rangordnungsmythos weiter. Teilweise wird die Theorie auch heute noch als pauschale Rechtfertigung für Gewalt in der Hundeerziehung herangezogen.

David Mech und der Begriff „Alpha“-Wolf

Kurzes Interview mit Dr. David Mech, in dem er über die Begriffe „Alpha“- und „Beta“-Wölfe spricht und warum diese wissenschaftlich nicht mehr korrekt sind:


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Rangordnung innerhalb eines Rudels – ist der Vergleich Wolf-Wolf, Hund-Hund und Hund-Mensch überhaupt passend?

Beobachtungen von freilebenden Hunden (z.B. Straßenhunde) hat gezeigt, dass das Rudelverhalten von Wölfen nicht 1:1 auf Hunde übertragbar ist. So leben Hunde nicht in fixen Rudeln (Familien) wie ihre wilden Vorfahren. Hunde stammen zwar von Wölfen ab, aber das Zusammenleben mit uns Menschen hat ihr Sozialverhalten offenbar verändert.

Schlussendlich muss man sagen, dass die Beziehung von Hunden untereinander in weiterer Folge auch nicht mit der Hund-Mensch-Beziehung vergleichbar ist. Gehorsam beispielsweise (wie vom Hund oft verlangt) spielt sowohl im Wolfsrudel als auch unter Hunden keine Rolle.

Müsst ihr euch also eurem Hund gegenüber als Rudelführer behaupten?

Aus heutiger wissenschaftlicher Sicht und aus meiner Erfahrung als Hundetrainerin kann klar gesagt werden, dass Gehorsamsprobleme mit eurem Hund sicherlich nicht in Zusammenhang mit Rangordnung und Dominanz stehen. Ein Hund fühlt sich bei euch in der Regel in einer Familie und strebt sicherlich nach Sicherheit, Geborgenheit und Freundschaft, nicht jedoch nach einem Platz als Familienoberhaupt.

Der Ursprung von Problemen und Grenzüberschreitungen zwischen Hund und Mensch (z.B. Verteidigung von Ressourcen) liegt nur allzu oft in Kommunikationsproblemen. Insbesondere der Mensch ist hier gefragt, Hunde lesen zu lernen, zu verstehen wie Hunde lernen und wie man ihnen notwendige/individuelle Grenzen in eurer Menschenwelt verständlich vermitteln kann.

Wenn ihr tiefer in diese spannende Materie eintauchen wollt, habe ich hier noch einige gute Buchempfehlungen zum Thema Dominanz bei Hunden:

Dominanz – Tatsache oder fixe Idee?

Barry Eaton

Ist das Dominanzstreben des Hundes uns Menschen gegenüber wirklich eine Tatsache oder ist es eine fixe Idee?

Die Dominanztheorie bei Hunden

James O’Heare

Theorie der sozialen Rangordnung und deren Anwendbarkeit auf Hunde, Missverständnisse und Verwirrung in der Begriffsdefinition.

Das Alpha-Syndrom

Anders Hallgren

Über Führung und Rangordnung bei Hunden – was das ist und was nicht.


*Hinweis: Die Liste an weiterführenden Literaturtipps entspricht meiner persönlichen Empfehlung und Expertise als ausgebildete Hundetrainerin. Ich erhalte keinerlei Provisionen oder Vergütungen von den AutorInnen oder Verlagen. Für Verlinkungen zu Thalia oder Amazon nutze ich jedoch die Möglichkeit eine kleine Provision zu erhalten (erhöht nicht den Kaufpreis). Die dadurch implizierte Werbung für die jeweiligen Buchhändler ist durch * gekennzeichnet. Bei Klick auf die gekennzeichneten Links stimmst du dafür erforderlichen Tracking-Technologien der Buchhandlung oder abwickelnder Dritter, wie z.B. dem Einsatz von Cookies, zu. Mehr Infos dazu und Möglichkeiten des Wiederspruchs in der Datenschutzerklärung.